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Satteldach oder Flachdach – die heiße Design-Debatte

Flachdach ist cool. Satteldach ist retro. Oder doch nicht? Diese Design-Diskussion hat eine spannende Story – einschließlich eines echten Architektenkriegs, dessen Spuren man in Berlin heute noch besichtigen kann.


Ein Gedankenexperiment: Stellen Sie sich irgendeine deutsche Mittelstadt vor, sagen wir z. B. Tübingen. Was sehen Sie? Häuser in jeder Größe, überwiegend mit Satteldächern in Rottönen. Jetzt ändert sich das Bild, und alle Häuser haben flache Dächer. Wie gefällt Ihnen der Anblick?


Mit dieser fiktiven Zuspitzung lässt sich ein jahrzehntelanger Diskurs in der Architekturwelt auf den Punkt bringen, nämlich die Frage, ob ein Flachdach oder ein Satteldach unter ästhetischen und funktionalen Gesichtspunkten die bessere Lösung ist. Eine weit mehr als theoretische Frage, denn die Dachform entscheidet in der Praxis über die städtebaulichen und sozialen Qualitäten eines Hauses mit.


Moderne Architektur mit geneigtem Dach
Puristisch und doch kunstvoll – die Kombination aus Form und Material

Das Flachdach auf dem Wohnhaus – ein „Bauhaus-Kind“

Richtig begonnen hat diese Debatte mit der vor über 100 Jahren gegründeten Bauhaus-Bewegung, der wohl prägendsten Design- und Kunstschule der Moderne. Unter der Regie ihres Gründers Walter Gropius und seiner Nachfolger nahm sich das Bauhaus nahezu aller Lebensbereiche an, von Bauweisen über Einrichtungsobjekte bis hin zu Hausgeräten. Und der Ansatz war stets leidenschaftlich radikal: Vereinfacht auf die Essenz, glasklar in den Linien, frei von Überflüssigem und doch konsequent ausgerichtet an menschlichen Bedürfnissen.


Entsprechend revolutionär war auch die Architekturphilosophie, die im Bauhaus entwickelt und kultiviert wurde. Eines der zentralen Elemente dessen, was das Bauhaus als modernes Bauen propagierte – und realisierte –, war das Flachdach. Es war schlicht, funktional und billig. Man benötigte dafür keine Zimmerleute und Dachdecker, was die Kosten fürs Bauen senkte und die Schaffung von Wohnraum erleichterte (und umgehend zu Protestdemonstrationen der betroffenen Handwerker führte). Vereinfacht formuliert, folgte die Bauhaus-Architektur dem Konzept der „Kiste fürs Leben“.


Dass die Ergebnisse attraktiv und großzügig sein können, zeigen die Meisterhäuser nahe dem Bauhausgebäude in Dessau, einem UNESCO Weltkulturerbe-Ensemble. In Kubusform mit viel Glas und Sichtbeton setzten sie neue Maßstäbe fürs Bauen und Wohnen. Die Türschilder von damals lesen sich wie ein „Who´s Who“ der modernen Kunst: Paus Klee, Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky, Ludwig Mies van der Rohe und viele andere große Namen hatten hier ihr Zuhause.


Wer sich heute nach neu gebauten Architektenhäusern umsieht, kann oft eindeutig Designmerkmale erkennen, die sich an der Bauhaus-Idee orientierten – einschließlich der flachen Dachform.

„Zehlendorfer Dächerkrieg“ zwischen ganzen Stadtvierteln

Das Flachdach im Bauhausstil galt, auch in der Architektenausbildung an Universitäten, bald als moderner als das klassische Satteldach und als unkomplizierter in Konstruktion und Umsetzung. Gegenströmungen zugunsten geneigter Dächer gab es allerdings ebenfalls, und die konnten handfeste Argumente Feld führen:


So fällt zum Beispiel bei einem Flachdach der Speicher weg – früher wie heute ein wichtiger Raum, um nicht unmittelbar benötigte Gegenstände in einer ausreichend dimensionierten „Pufferzone“ zu lagern. Darüber hinaus ergaben sich bei den neuen Flachdächern erhebliche konstruktive Probleme mit der Wärmedämmung und dem Niederschlagsmanagement. Letzteres ist übrigens bis heute eine Herausforderung geblieben. Der Aufwand, ein Flachdach auf längere Sicht dicht zu bekommen und zu halten, hebt oftmals den ursprünglichen Baukostenvorteil auf.


Flachdachsiedlung in Berlin von Bruno Taut
Flachdach-Häuser von Bruno Taut: ein Relikt des "Berliner Dächerkriegs" (Bildquelle: Achim Wagner - stock.adobe.com)

Je nach architektonischer Schule und gestalterischer Überzeugung bauten Planer in der Folge ganze Stadtviertel und Straßenzüge, die den Konflikt zwischen Flachdach- und Satteldachverfechtern sichtbar machten, öffentlich ausgetragen mit Ziegeln, Mörtel und Beton: In Berlin-Zehlendorf zum Beispiel, nahe dem U-Bahnhof Onkel Toms Hütte, steht eine 1926 - 32 erbaute Flachdachsiedlung des Bauhaus-Stadtplaners Bruno Taut. Nicht weit entfernt errichtete eine konservative Genossenschaft zur gleichen Zeit eine Wohnhaussiedlung mit Satteldächern als bewussten Kontrapunkt. Für deren Planung wurden 16 (!) namhafte Architekten engagiert – es ging im „Zehlendorfer Dächerkrieg“ also wirklich ums Prinzip.


Modern oder retro? Satteldach oder Flachdach?

Entschieden ist die Debatte über Flach- oder Satteldach als optimale Lösung bis heute nicht, nur die Konfliktlinien verlaufen etwas anders, haben sich von Funktionalitätsfragen zu Imagetransfers verlagert. Fläche Dächer gelten oftmals als Symbol von Designbewusstsein, Coolness und Eleganz. Geneigte hingegen werden häufig als gestrig etikettiert. „Boomer-Architektur“ eben.


Umgekehrt vertreten renommierte Architekten die Meinung, ein flaches Dach sei wegen mangelnder Sichtbarkeit eigentlich gar keines, sondern lediglich ein unkreativer und unkonturierter Hausabschluss. Der wahre Charakter eines Gebäudes entfalte sich erst unter einem harmonisch proportionierten und ansprechend gedeckten geneigten Dach.


„Wenn ich meinen Studenten an der Fakultät mit den Vorteilen eines Satteldachs komme, bekomme ich erstmal zu hören, wie „voll retro“ das ist.“ meint ein Professor der Uni München zum Stand der Diskussion. „Ich frage dann gerne, wie viel kreative und bautechnische Varianz in einem Flachdach möglich wäre.“


Bildquellen: Rathscheck Schiefer; Achim Wagner - stock.adobe.com

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